Kurzfassung des Gesamtprojekts

Szenarien zur Erreichung eines nachhaltigen Energiesystems mit einem hohen Anteil an erneuerbarer Energie unterscheiden sich in den Annahmen zur zukünftigen Stromnachfrage und den möglichen Reduktionen durch Energieeffizienzsteigerungen (Capros et al., 2016; Krutzler et al., 2016; Totschnig et al., 2013). Alle Szenarien kommen jedoch zu dem Schluss, dass Windenergie und Photovoltaik (PV) bis 2050 einen wesentlichen Beitrag zum österreichischen Energiesystem leisten müssen. Streicher et al. (2010) bewerteten die technische und wirtschaftliche Machbarkeit der Energieautarkie Österreichs bis 2050. Sie zeigen, dass die Wind- und PV-Produktion von derzeit 4,60 und 0,44 TWh (Energie-Control Austria, 2016) auf 14 bzw. 20 TWh ausgebaut werden muss, um den Energiebedarf im Jahr 2050 zu decken. Krutzler et al. (2016) haben ein Szenario für erneuerbare Energie im Jahr 2050 vorgestellt, in dem erneuerbare Energie 90% zur Energieversorgung beiträgt. Sie gehen davon aus, dass die Wind- und PV-Erzeugung auf 21,6 bzw. 23,6 TWh ansteigen muss. Die Entwicklung eines solchen Energiesystems ist eine komplexe Herausforderung. Bisherige Bemühungen zur Analyse dieses Übergangs zu einem höheren Anteil erneuerbarer Energie waren durch eine starke Betonung technischer und wirtschaftlicher Aspekte gekennzeichnet, wobei eine ebenso wichtige Facette einer erfolgreichen Transformation, nämlich die gesellschaftliche Akzeptanz, meist außer Acht gelassen wurde. Um diese notwendige Facette, einschließlich der Perspektive der sozialen Akzeptanz, zu berücksichtigen, wurde ReTour als inter- und transdisziplinäres Forschungsprojekt konzipiert, das die soziale Akzeptanz zukünftiger Erneuerbare-Energie-Szenarien in österreichischen Tourismusregionen mittels eines Fallstudienansatzes untersucht. Um die Anwendbarkeit der Forschung zu gewährleisten stellte eine beratende Stakeholdergruppe ihr Wissen zur Verfügung, gab Feedback und erhöhte die Legitimität unserer Methodik, Szenarien und Projektergebnisse. Darüber hinaus bot diese enge Zusammenarbeit auch Lernmöglichkeiten für die Stakeholdergruppe und war somit ein integraler Bestandteil der Kommunikations- und Verbreitungsbemühungen im Rahmen des Projekts. Die beratende Stakeholdergruppe bestand aus ExpertInnen aus dem Bereich des Einsatzes erneuerbarer Energie in Österreich und der österreichischen Tourismusbranche. Insgesamt wurden drei Stakeholder-Treffen abgehalten, um das Forschungsteam zu unterstützen.

Die empirische Arbeit von ReTour begann mit der Aufbereitung von räumlich expliziten Daten für Windenergiepotenziale (Höltinger et al., 2016) und der Modellierung von PV-Potenzialen durch die Verschneidung von Landbedeckungsdaten, Sonneneinstrahlungswerten, Exposition und Höhenlage (Mikovits et al., 2021). Für die Auswahl der Fallstudienregionen führte eine räumliche Verknüpfung mit statistischen Daten zu Nächtigungszahlen (Statistik Austria, 2018) zu einer Vorauswahl von Tourismusregionen, aus der schließlich mit der Stakeholdergruppe die Auswahl der Fallstudienregionen getroffen wurde. Die drei Regionen, die auf Basis einer räumlich expliziten und techno-ökonomischen Modellierung der Energiepotenziale in Tourismusregionen sowie verschiedener Charakteristika touristischer Aktivitäten (z.B. Sommer- und Wintertourismus, Sport- oder Kulturangebote, etc.) ausgewählt wurden, sind die Nockberge in Kärnten, das Kamptal in Niederösterreich und das Joglland in der Steiermark. Darüber hinaus decken die Regionen verschiedene Aspekte des landschaftsbezogenen Tourismus in Österreich ab. Anschließend wurden spezifische Energieszenarien für die ausgewählten Regionen – unter Berücksichtigung der österreichischen Ziele für erneuerbare Energie bis 2030 und des maximal verfügbaren Potenzials in Österreich – erstellt. Zusätzlich wurden Wind- und Photovoltaikdaten aufbereitet, um sie direkt als Basisdaten für die Workshops zu verwenden. Die Potenziale für Windkraft lagen zwischen 0,97 – 1,55 TWh/a mit regionalen Zielwerten zwischen 0,15 – 0,32 TWh/a. Die Potenziale für PV lagen zwischen 4,31 – 9,32 TWh/a mit regionalen Zielwerten zwischen 0,03 – 0,07 TWh/a. Basierend auf den räumlich expliziten Windenergie- und PV-Potenzialen wurde ein Prototyp für ein innovatives Spiel zur kollaborativen Planung und Visualisierung (Landscape.Lab!) entwickelt. Kernstück dieses Planspiels ist eine interaktive Karte und eine Virtual Reality (VR)-Anwendung, die es den Beteiligten ermöglicht, potenzielle Standorte für erneuerbare Energieinfrastrukturen zu planen und deren Auswirkungen auf die Landschaft unmittelbar in einer virtuellen 3D-Umgebung zu visualisieren. Ziel war es, zu analysieren, wie immersive Visualisierungstechniken und kollaborative Planungsansätze das öffentliche Verständnis und die Akzeptanz geplanter Infrastruktur für erneuerbare Energie in einem partizipativen Umfeld fördern. Die potenziellen Standorte für Windturbinen und Freiflächen-PV-Anlagen wurden anhand offener Geodaten modelliert. Das Landscape.Lab! wurde in den drei Fallstudienregionen mit SchülerInnen und regionalen InteressensvertreterInnen getestet. Die Ergebnisse der gemeinschaftsbasierten Entscheidungsfindung wurden anhand von Audioaufnahmen und einer teilnehmenden Beobachtung analysiert. Diese Analysen zeigen, dass ein Verständnis für die Notwendigkeit erneuerbare Energiequellen und Standorte zu diversifizieren besteht und dass sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf den Tourismus erwartet werden.

In der anschließenden Phase des Projekts wurde die soziale Akzeptanz anhand eines Fragebogens untersucht, der (1) eine Reihe von Skalenmessungen wichtiger sozialpsychologischer Konstrukte, von denen angenommen wird, dass sie zur sozialen Akzeptanz von Technologien für erneuerbare Energie beitragen, (2) eine Landschaftsbildbewertung auf der Grundlage von Fotomontagen, die durch Triangulation von realen Fotos und Daten aus der virtuellen Umgebung des Landscape.Lab! erstellt wurden, und (3) ein Auswahlexperiment unter Anwendung der Conjoint-Analyse beinhaltete. Das ursprüngliche Ziel war es, anhand technisch machbarer Szenarien, die Präferenzen und Kompromisse bei der Erzeugung erneuerbarer Energie von Einheimischen und TouristInnen der ausgewählten Regionen zu verstehen. Die geplante Stichprobe musste jedoch als Folge der COVID-19-Pandemie angepasst werden. Während ursprünglich eine Tür-zu-Tür-Stichprobe von Einheimischen und TouristInnen in den drei ausgewählten Fallstudienregionen geplant war, erforderten die veränderten Umstände, dass wir uns für die Stichprobenziehung auf ein Marktforschungsunternehmen stützten, das online rekrutierte. Das Fehlen von TouristInnen bedeutete auch, dass bei der Untersuchung nun zwischen Einheimischen und BesucherInnen (aus den angrenzenden Regionen) unterschieden wurde. Die Landschaftsbildbewertung diente dazu, die subjektiven Bewertungen der Auswirkungen von Technologien für erneuerbare Energie (RETs) auf die Landschaft und persönliche sowie kontextuelle Faktoren besser zu verstehen. Mit Hilfe der Conjoint-Analyse wurden die Präferenzen und Kompromisse für verschiedene Szenarien erneuerbarer Energie gemessen, wobei eine Reihe von Parametern untersucht wurde, die mit der beratenden Stakeholdergruppe im Vorfeld abgestimmt wurden. Es zeigte sich, dass das bevorzugte Szenario einen regionalen Betreiber mit der Möglichkeit eines ermäßigten Stromtarifs umfasst, das mindestens 50% der Erzeugung durch PV-Anlagen mit einer semi-konzentrierte Verteilung der RETs in der Region und einer Entfernung von 1500m zu besiedelten Gebieten vorsieht. Viele der befragten EinwohnerInnen wären jedoch dennoch nicht damit einverstanden, wenn dieses Szenario umgesetzt würde, was insbesondere in Kärnten zutraf. Schließlich wurden die Skalenmessreihen zur Durchführung von multiplen Regressionsanalysen verwendet, die signifikante Prädiktoren für die soziale Akzeptanz in den Tourismusregionen ergaben und zur weiteren Untersuchung regionaler Unterschiede dienten. Anschließend wurde anhand der Ergebnisse der verschiedenen Analysen evaluiert, wie sich das aus den Modellierungsstudien abgeleitete technisch-ökonomische Potenzial verändert, wenn die Präferenzen der StudienteilnehmerInnen berücksichtigt werden. Die Entfernungspräferenz von 1500m zu besiedelten Gebieten reduzierte das Potenzial in jeder Region wesentlich, sodass eine Zielerreichung unmöglich wurde. Zur Kommunikation und Verbreitung der Ergebnisse wurde ein Webinar veranstaltet, sowie eine Reihe von Konferenzbeiträgen und eingeladenen Vorträgen gehalten. Zusätzlich wurden Veröffentlichungen in Fachzeitschriften veröffentlich.

Literatur

Capros, P., Vita, A. De, Tasios, N., Siskos, P., Kannavou, M., Petropoulos, A., … Nakos, C. (2016). EU Reference Scenario 2016: Energy, Transport and GHG Emissions Trends to 2050. European Commission. http://doi.org/10.2833/001137

Energie-Control Austria (2016). Ökostrombericht 2016. Wien

Höltinger, S., Salak, B., Schauppenlehner, T., Scherhaufer, T., Schmidt, J. (2016). Austria’s wind energy potential – A participatory modeling approach to assess socio-political and market acceptance, Energy Policy, 98 (2016) 49–61. doi:10.1016/j.enpol.2016.08.010.

Krutzler, T., Wiesenberger, H., Heller, C., Gössl, M., Stranner, G., Storch, A., Heinfeller, H., Winter, R., Schindler, I. (2016). Szenario erneuerbare Energie 2030 und 2050. Umweltbundesamt GmbH, Wien.

Mikovits, C.*, Schauppenlehner, T., Scherhaufer, P., Schmidt, J., Schmalzl, L., Dworzak, V., Hampl, N., Sposato, R. G. (2021). A Spatially Highly Resolved Ground Mounted and Rooftop Potential Analysis for Photovoltaics in Austria. ISPRS International Journal of Geo-Information, 10, 6, 418, doi:10.3390/ijgi10060418

Statistik Austria (2018). Ankünfte, Übernachtungen bzw. Betriebe und Betten in allen Berichtsgemeinden in der Winter- und Sommersaison 2018. Statistik Austria. URL: Ankünfte, Nächtigungen (statistik.at)

Streicher, W., Schnitzer, H., Titz, M., Tatzber, F., Heimrath, R., Wetz, I., Hausberger, S., Haas, R., Kalt, G., Damm, A., Steininger, K., Oblasser, S. (2010). Energieautarkie für Österreich 2050.  Feasibility Study, Wien

Totschnig, G., Kann, A., Truhetz, H., Pfleger, M., Ottendörfer, W., & Gerd, S. (2013). AutRES100 – Hochauflösende Modellierung des Stromsystems bei hohem erneuerbaren Anteil – Richtung 100% Erneuerbare in Österreich. Endbericht – Neue Energien 2020.